Poetry

DER TORNADO IM KOPF

 

Kennst du das auch?

Du verlässt mit einer bestimmten Absicht den Raum, und nach kürzester Zeit hast du vergessen was du wolltest, weil dir auf dem Weg dahin aufgefallen ist, dass du dein Schlafzimmer noch nicht aufgeräumt hast. Und dann fällt dir auf, dass es noch viel mehr zum aufräumen gibt. Während du darüber nachdenkst, was du alles noch tun musst für deinen Job. Und irgendwann erinnerst du dich wieder daran, dass du ja eigentlich nur die Brille holen wolltest um am Computer zu arbeiten.

 

Kennst du das auch?

Dass dein Partner etwas sagt, wo du merkst, dass stört dich, oder das macht was mit dir. Du kommunizierst es. Doch es arbeitet weiter. Ich spreche hier von einer Kleinigkeit. Z.B. er sagt er muss morgen, dieses und jenes erledigen, obwohl du "dachtest" du hättest ihm von einer gemeinsamen Unternehmung erzählt. Auch wenn er schon verständlich reagiert hast, bohrt es weiter in deinem Kopf und du fängst am nächsten Tag wieder damit an. Es wird zum Vorwurf, zur Anklage und zum Wutausbruch. Und du fühlst schon während dessen, dass du dich verloren hast in einem alten Schmerz, nicht gesehen zu werden.

 

Kennst du das auch?

Du konzetrierst dich, fokusierst dich, gibst alle. Doch du schaffst es am Ende nicht irgend jemanden zu bitten, noch mal für dich drüber zu schauen. Daten abzugleichen. Dieses und jenes zu überprüfen. Weil du hast do krass durch gearbeitet, alles gegeben, dass du nur noch möchtest dass du es versenden kannst, um dich von diesem Druck zu befreien, der innerlich durch diese Anspannung entstanden ist. Ja keine Fehler machen zu dürfen, ja das Beste geben zu müssen, ja nichts auszulassen, ja jeden deiner Gedanken wundervoll, berührend zu verpacken. Damit es ja passt, damit ja nix falsch ist, damit ja niemand kritisieren kann. Doch.. päng... es hat nicht geklappt.

 

Kennst du das auch?

Dass du vor einem Menschen sitzt. Der redet. Und redet. Du magst diesen Menschen. Aber etwas in dir flippt langsam aus. Du drehst fast durch. Du möchtest ihn unterbrechen. Tust es vielleicht auch. Doch es dauert alles schon zu lange. Du kannst auch seinen Worten nicht wirklich folgen. Und wenn ihr euch trennt, bist du irgendwie erschöpft, sogar sauer auf ihn, dass er das nicht gemerkt hat, wie es dir geht. Und denkst dir, ne danke.. auf den hab ich keine Bock mehr. Und ziehst dich zurück.

 

Kennst du das auch?

Dass du deine Schubladen aufmachst. Und das Chaos siehst. Die nächste Schublade aufmachst und es immer schlimmer wird. Du dir denkst, wie kann man so sein, dass man nicht mal ne Schublade in Ordnung halten kann. Und auch wenn du beginnt zu sortieren, es soviel Kraft kostet und deine Gedanken sich kreisen, weil die Panik dich ergreift, dass du es nie schaffen wirst. Dass alles zu viel ist. Du zu viel hast. Und es voll anstrengend ist, zu entrümpeln, und vor allem dann auch nicht wieder gleich etwas nach zu kaufen.

 

Kennst du das auch?

Dass du dich fertig machst. Voll stolz bist, dass du es zeitlich geschafft hast, dich auf den Weg zu machen. Und dann vor verschlossener Tür stehst. Du es kaum fassen kannst, wie man dich warten lassen kann, bis du merkst du hast dich im Termin vertan. Das gefühlt tausendste mal. Du warst am falschen Tag am Flughafen, oder du hast dein Ticket für den falschen Tag gebucht. Du hast den Geburtstag von deiner Freundin, das 50igste mal mit dem selben Datum verwechselt.

 

Kennst du das auch?

Dass du zu schnell vertraust. Zuviel erzählst. Zuviel teilst. Zu offen bist mit Fremden, die du nicht kennst. Dass du voll schlecht Geheimnisse behalten kannst, weil der Druck so gross wird, damit zu sein, oder davor was unrechtes zu tun. Dass du Menschen manchmal nicht zu Wort kommen lässt, oder dass wenn dich jemand ungerecht behandelt, du das unbedingt teilen musst, damit dieser grosse Druck in dir, falsch zu sein, nachlassen kann, und jemand dir sagt, ja du hast recht, das ist nicht ok, weil du so sehr an dir zweifelst, obwohl es wirklich nicht ok war.

 

Kennst du das auch?

Dass du Angst hast dich zu zeigen. Obwohl dir das keiner glaubt. Dass du Angst hast Seminare zu geben, und immer jemanden da haben musst, dem du vertrauen kannst, der für dich einsteht, der dir hilft nur in dem er da ist. Weil du weisst, es ist immer jemand da, der nicht gut findet was du sagst, der dich nicht mag, der dich danach beleidigen wird, oder angreifen wird. Und du deine ganze Seele gegeben hast, zu viel gegeben hast, um dem entgegen zu wirken. Aber du hast es nicht geschafft. Wieder ist da jemand, der sich querstellt und dich ablehnt. Und wieviele Tage, Jahre dich das manchmal beschäftigen kann, je nachdem wie wertvoll der Mensch für dich war?

 

Kennst du das auch?

Dass du irgendwie allein bist. Man mag dich. Aber am Ende entscheiden sie sich für andere Menschen? Gruppen bilden sich, aber du bist nicht Teil der Gruppe. Sie sagen zwar alle du bist toll, aber laden dich dann nicht ein mit ins Kino zugehen, zusammen zu kochen oder tanzen zu gehen, oder einfach abzuhängen? Und dass wenn du doch mal dabei bist, es dir voll schnell zu viel ist, weil du so einen Drang hast, deine Präsenz einzubringen. Witze machst, die anderen zum Lachen bringen möchtest, und dich selber dadurch spüren kannst und das Gefühl von Anerkennung für dein lustiges Wesen bekommst? Oder aber einfach nur schweigst, um nichts falsches zu sagen?

 

Kennst du das auch?

Dass du dich dein ganzes Leben extrem bemühen musst, Dinge auf die Reihe zu bringen. Auch wenn du dir so viele Masken antrainiert hast, damit dir das niemand ansieht? Und dass du dir wahnsinnig schwer tust, dich für das wertzuschätzen was dir leicht fällt. Und du dann glaubst das hat keinen Wert. Wert hat nur, was du nicht kannst und noch lernen müsstest, es aber nicht schaffst? Zum Beispiel Sprachen. Du übst die Worte, und nach zwei Tagen weisst du keines mehr. Und das über Jahre. Du erkennst, es geht einfach nicht in deinen Kopf. Dabei sagen dir so viele Menschen was für ein Talent du in diesem und jenem hast, du weisst aber nur was du nicht kannst. 

 

Kennst du das auch?

Dass du nicht schlafen kannst. Noch nie wirklich gut schlafen konntest. Dass du alles hörst. Tausend Gedanken dich abhalten. Aufwachst und dir alle Details durch deinen Kopf gehen, was alles passieren könnte, und wie du es verhindern hättest können. Oder ist einfach diese innere Furcht da, es nicht zu schaffen. Nicht genug zu verdienen, dass du über die Runden kommst. Nicht genug Geld auf der Seite zu haben für die Steuern. Oder aber das alles so zu verdrängen, und dann komplett aus allen Wolken zu fallen, weil plötzlich soviel Rück und Nachzahlungen zu machen sind, dass du nicht weisst wie du da meistern kannst?

 

Kennst du das auch?

Dass für dich verreisen der Horror ist, obwohl du es liebst? Das du schon Tage davor über das Packen nachdenkst. Vielleicht dich forcierst damit frühzeitig zu beginnen, aber permanent unsicher bist, was zu viel ist oder zu wenig. Und dass du dich besser fühlst, wenn du am Reiseort ankommst und ganz viele deiner persönlichen Dinge hast, nur damit du dich dort zu Hause fühlst. Weil du in jeder Ecke eine Spur von dir hinterlässt. Aber dadurch unflexibel wirst, einfach alles schnell zu packen, und die Flucht zu ergreifen. 

 

Kennst du das auch?

Dass du dich in Abhängigkeiten verlierst, weil du glaubst ohne diese nicht existieren zu können. Manchmal sind das Menschen, manchmal sind das Gewohnheiten, die zu Süchten werden? Dass es voll schwer ist ganz, ganz still zu sein. Wirklich überhaupt nichts zu tun. Das es dir schwer fällt, alleine einfach nur so in einem Cafe zu sitzen, ohne ein Buch oder ein Handy in der Hand. Ohne etwas zu schreiben. Sogar zu Hause fällt dir das schwer, also schaust du Serien, hörst Hörbücher, überfüllst dich mit Infos aus Social Media.

 

Kennst du das auch?

Dass du vergisst zu essen, und zu trinken, weil du an etwas dran bist, das du unbedingt erledigt haben möchtest. Dass du dir keine Pause schaffen kannst, weil du dann Angst hast, dass es noch länger dauert. Und weil du eh schon alle Kraft brauchst es überhaupt zu tun und zu schaffen, kannst du dir keine Unterbrechung zu gestehen. Weil es einfach, so schnell wie möglich vorbei gehen soll? Und wenn du fertig bist, bist du unterzuckert und dehydriert? Und brauchst länger dich zu erholen, als jeder andere.

 

Kennst du das auch?

Kennst du das auch?

 

Und noch viel mehr. Viel mehr. Was dein Leben sehr anstrengend macht. Und du denkst, du bist nicht normal. Und das jede Hochsensibilität übersteigt?

 

Viele werden die Worte vielleicht belächeln und sagen, ja so geht es mir ja auch oft. Hier geht es aber nicht um ein, zwei Missgeschicke. Sondern um den täglichen Ablauf vieler Menschen. Und den immensen Energiefaufwand, der das kostet um durch zu halten, um mit zuhalten, um zu überleben, um die eigene Existenz bestreiten zu können. Und keiner kann es sehen. Und wenn sie es merken, dann sagen sie.. die hat einen Schaden, die ist Psycho, die ist deppat, die ist einfach to much. Die braucht aber auch viel Aufmerksamkeit. Die hat aber auch immer was zu sagen. Die kann auch nie still sein. Und schau, nicht mal Rechtschreibung beherrscht sie. Nichtmal einen anständigen Ton bekommt sie Zustande bei ihren Events. Nicht mal genug Tee oder gutes Essen stellt sie zur Verfügung. Schau wie herrisch, schau wie dominant, schau wie besitz ergreifen sie ist, schau wie kontrollierend, und arrogant, und überheblich. usw. usw. usw Und die lautest Stimme die dir sagt du bist nicht gut genug, ist deine.

 

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Wiedermal viel Text. Danke wenn du noch hier bist. Und wenn du dich vielleicht siehst, und weisst von was ich spreche. Und du dir eine Lektüre dazu finden möchtest. "Unruhe im Kopf" Von Mate Gabor, ADHS bei Erwachsenen.

Love MO

 

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